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«Vielleicht gibt es einen anderen Weg»

Ariella Kaeslin unterhält sich mit dem Sportpsychologen Philipp Röthlin, der sich in einem Forschungsprojekt mit der Frage beschäftigt, was uns zum Erfolg führt: Wenn wir lieb oder wenn wir hart zu uns selbst sind?

Ariella Kaeslin: Philipp, Du bist Sportpsychologe in Magglingen, arbeitest mit Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern. Und gerade beschäftigst Du dich mit einer hochinteressanten Frage, die weit über den Sport hinaus von Bedeutung sein könnte: Wann ist man erfolgreicher – wenn man lieb oder wenn man hart zu sich selbst ist? Ich glaube, die Antwort für mich zu kennen, aber erzähl mir doch mehr von deinem Projekt.

Philipp Röthlin: Was ist denn deine Antwort?

Ariella Kaeslin: Ich denke, dass ich nie so weit gekommen wäre, wenn ich nicht immer wieder richtig hart mit mir ins Gericht gegangen wäre, mich gequält, gegeisselt, schlechtgemacht hätte.

Philipp Röthlin: Das ist interessant. Wir stehen erst am Anfang des dreijährigen Forschungsprojekts, aber das, was Du sagst, ist ein wichtiger Grund, warum wir uns mit dem Thema befassen wollen.

Ariella Kaeslin: Inwiefern?

Philipp Röthlin: Es geht um self-compassion, Selbstmitgefühl, also darum, wie Menschen mit sich selbst umgehen. Self-compassion ist ein etabliertes Konzept in der klinischen Psychologie, man weiss, dass es für die mentale Gesundheit und das Wohlbefinden gut ist, wenn man mit sich selbst freundlich und mitfühlend umgeht. Nun ist es aber so, dass gerade Sportlerinnen und Sportler eher skeptisch auf diese Erkenntnis reagieren, genau wie Du. Sie denken, wenn sie nett zu sich selbst sind, können sie nicht mehr erfolgreich sein. Sie sagen: «Ich brauche das Selbstkritische, um Leistung zu erbringen oder das Training durchzustehen.»

Ariella Kaeslin: Du glaubst, diese Leute liegen falsch?

Philipp Röthlin: Das wollen wir herausfinden. Macht es Sportlerinnen und Sportler wirklich schlechter, wenn sie umsichtiger mit sich selbst umgehen? Untergräbt ein mitfühlender Umgang mit sich selbst die Motivation, besser zu werden?

Ariella Kaeslin: Ich kenne kaum Spitzensportlerinnen und Spitzensportler, die nett zu sich selbst sind. Woran könnte das liegen?

Philipp Röthlin: Ich denke, es hat ein Stück weit mit dem Sportsystem zu tun: So, wie mit dir umgegangen wird, gehst Du irgendwann auch mit dir selbst um. Aber versteh mich nicht falsch: Mit Selbstmitgefühl ist nicht gemeint, dass man auch mit der Hälfte des Trainings zufrieden sein soll. Es geht um eine selbstunterstützende Haltung, aber verbunden mit der Idee, das eigene Potenzial auszuschöpfen.

Ariella Kaeslin: Damit man sein Selbstwertgefühl nicht an die Leistung knüpft?

Philipp Röthlin: Genau. Wenn Du dein Selbstwertgefühl an äusseren Faktoren festmachst, fällt es dir extrem schwer, dich mit deinen Schwächen zu befassen – denn Schwächen wirken bedrohlich auf das Selbstwertgefühl. Dabei ist doch genau das entscheidend, wenn man besser werden will: Dass man sich mit seinen Schwächen auseinandersetzt. Wenn Du mitfühlend dir selbst gegenüber bist, wenn Du dich akzeptierst und sagen kannst: «Ich bin ok, wie ich bin, unabhängig davon, was ich leiste» – dann schaffst Du ein inneres Umfeld, das es dir ermöglicht, an deinen Schwächen zu arbeiten. Und zwar ohne dass Du dich damit runterziehst oder Du dich vor Kritik schützen musst.

Ariella Kaeslin: Es gibt wohl kaum einen Lebensbereich, in dem das nackte Resultat, der äussere Wert entscheidender ist als im Sport. Alles, was man im Sport ist, ist man seiner Leistung wegen.

Philipp Röthlin: Ja, der Sport ist der Ort, wo deine Leistung ständig gemessen wird, wo Du dich ständig mit anderen vergleichen kannst, wo Du ständig Ansprüchen sowohl von dir selbst als auch von aussen ausgesetzt bist. Darum finde ich es so interessant, die Frage nach dem Wert des Selbstmitgefühls im Sport zu untersuchen. Angenommen, eine Person ist komplett zufrieden mit sich selbst – macht diese Person dann überhaupt noch Spitzensport?

Ariella Kaeslin: Das ist genau mein Punkt. Ich glaube, jede Spitzensportlerin, jeder Spitzensportler hat irgendwo ein Defizit. Ein ausgeglichener Mensch braucht diese Quälerei nicht. Der ist zufrieden, wenn er in einem Café sitzen und mit Leuten plaudern kann.

Philipp Röthlin: Ich schliesse nicht aus, dass es mehrere Wege zum Erfolg gibt. Eigentlich halte ich es sogar für plausibel. Es gibt Menschen, die eher von sich heraus motiviert sind, das zu tun, was sie tun. Andere Menschen lassen sich stärker von äusseren Reizen leiten. Und natürlich hängt der Erfolg auch von deinem Können ab. Nur weil ich lieb zu mir selbst bin, heisst das noch nicht, dass ich Weltklasse-Turner werde. Es kann gut sein, dass auch jemand, der mitfühlend sich selbst gegenüber ist, Momente der Selbstkritik braucht, um sich anzutreiben und Grenzen zu überschreiten.

Ariella Kaeslin: Je länger Du darüber sprichst, desto plausibler erscheint mir, dass Du in einen Punkt Recht haben könntest. Wäre ich vielleicht noch erfolgreicher gewesen, wenn ich sorgfältiger mit mir umgegangen wäre? Hätte ich die Karriere nicht wegen eines Burn-outs beenden müssen, viel zu früh? Aber wenn ihr jetzt tatsächlich zum Schluss kommen solltet, dass Selbstmitgefühl ein auch im Sport funktionierendes Konzept ist – bräuchte es dann nicht einen regelrechten Paradigmenwechsel, damit die Erkenntnisse auch wirklich umgesetzt würden? Ich meine, das fängt ja im Kleinen an, im Kindertraining, überall auf der Welt werden Sportlerinnen und Sportler von Anfang an darauf geschult, dass nur harte Arbeit und Härte zu sich selbst erfolgsbringend sind. Sport heisst Leiden, sich Auskotzen, so ist das seit Jahrzehnten, zumindest in den typisch athletischen Sportarten, in den olympischen Disziplinen mit langer Geschichte.

Philipp Röthlin: Oh, das sehe ich genau so. Aber ich möchte noch einen Unterschied machen: Es ist für mich keine Frage, dass es für Topleistungen harte Arbeit braucht. Aber bedingt harte Arbeit auch Härte sich selbst gegenüber? Das ist für mich weniger eindeutig. Daraus folgen für mich zwei Fragen, die ich in unserem Projekt gern beantworten möchte. Erstens: Wenn wir hart zu uns selbst sind, weil wir glauben, dass uns das zum Erfolg führt – zu welchem Preis geschieht das dann? Und zweitens: Liessen sich die Leistungen allenfalls sogar steigern, wenn wir anders an den Sport herangingen? Vielleicht gibt es ja wirklich einen anderen Weg, einen respektvolleren den Sportlerinnen und Sportlern gegenüber. Ich fände das jedenfalls schön.

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Vom Sport zurückzutreten ist wie arbeitslos zu werden oder sich pensionieren zu lassen.

Nie im Leben hätte ich gedacht, wie schwer es mir fallen würde, meine Karriere zu beenden. Und damit meine ich nicht den Entscheid selbst, denn der wurde mir gewissermassen aufgezwungen: Ich war an einer Depression erkrankt und wusste, dass ich nur gesund werden kann, wenn ich den Rücktritt gebe. Das war im Sommer 2011. Was ich meine, wenn ich sage, dass es im Leben einer Spitzensportlerin kaum einen anspruchsvolleren Moment gibt als den Rücktritt, ist dies: Dass die grösste Herausforderung noch bevorsteht.

Kaum hatte ich tatsächlich ausgesprochen, dass ich ab sofort nicht mehr an Wettkämpfen teilnehme, fiel ich in ein noch tieferes Loch, als ich wegen der Depression ohnehin schon war. Alles, was meinem Leben bis hierhin einen Sinn gegeben hatte, war auf einen Schlag weg. Meine Tage hatten jede Struktur verloren, mir fehlte das Training, ich vermisste die Ziele. Ich zog aus meinem Zimmerchen in Magglingen aus und ging zurück nach Luzern, aber wusste nicht, was ich nun mit mir anfangen sollte. Ein Hobby? Ich hatte kein Hobby. Eine Ausbildung? Ich war so lange nicht mehr zur Schule gegangen. Freundinnen und Freunde? Ich hatte kaum Freundinnen und Freunde ausserhalb des Turnens. Wenn ich mich doch mit jemandem traf, rätselte ich, worüber wir reden könnten. Wie unterhält man sich, wenn man sich die letzten Jahre kaum gesehen hat? Es fehlte mir, mit meinen Turnkolleginnen einen „Kafi“ zu trinken und über den Trainer zu lästern oder vom letzten Wettkampf zu schwärmen. Ich kam mir klein vor, wenn ich mich mit Kolleginnen und Kollegen von früher traf, manche hatten das Studium bereits beendet, sie waren Ärztinnen und Ärzte geworden oder sonst etwas Eindrückliches. Ich kam mir so klein vor. Was hatte ich die letzten Jahre denn gemacht? Ich war Sportlerin gewesen. Ich brauchte lange, bis ich verstand, dass das eine Erfahrung ist, die auch im „normalen Leben“ zählen konnte.

Ich versuchte es mit allen möglichen anderen Sportarten, bloss als Freizeitbeschäftigung. Ich ging Rudern und in die Leichtathletik und versuchte es mit Triathlon und Langlauf. Aber überall war ich eine Anfängerin. Ich war mir gewohnt, Weltspitze zu sein.
Dann fing ich zu studieren an, Sport und Psychologie, meine Bachelorarbeit schrieb ich zu dem Thema, das mich nun seit 2011 beschäftigte: Wie ist es, die Sportkarriere zu beenden? Ich fand etwas Erstaunliches heraus: Dass es normaler ist, als ich gedacht hatte.
Vom Sport zurückzutreten ist wie arbeitslos zu werden oder sich pensionieren zu lassen. Das hängt mit den psychosozialen Funktionen der Erwerbsarbeit zusammen: Der Beruf verschafft einem eine Aktivität und ein Gefühl von Kompetenz. Die Zeit ist strukturiert, man funktioniert und gerät mit Menschen in Kontakt. Man erfährt soziale Anerkennung, hat eine persönliche Identität. All das, was essentiell ist für einen Menschen. Und all das fällt weg. Ich erfuhr, dass das in der Arbeitspsychologie ein grosses Thema ist. Wie bereitet man Menschen auf das Ende des Arbeitslebens vor? Man weiss, dass Männer damit tendenziell ein grösseres Problem haben als Frauen, weil sie sich stärker mit ihrem Beruf identifizieren.

Ich habe für meine Bachelorarbeit viel zu dieser Thematik gelesen, aber ich möchte euch etwas Persönliches erzählen: Nach allem, was ich erlebt habe, glaube ich, dass es uns ganz allgemein nicht schaden würde, wenn wir unsere innere Zufriedenheit nicht so sehr von äusseren Faktoren abhängig machen würden. Denn die fallen irgendwann weg, eine Sportkarriere geht ebenso sicher zu Ende wie ein normaler Beruf, bloss meistens etwas früher. Zurück bleiben wir, wir allein, als Menschen – und dann ist es gut, wenn wir Menschen an unserer Seite wissen, die uns etwas bedeuten, und wenn wir Glück aus uns selbst heraus zu schöpfen vermögen.

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Ich liebe Kunstturnen, aber es kann auch ein unendlich schrecklicher Ort sein

Im letzten Jahr wurde ich häufig gefragt, was ich über den Fall von Larry Nassar denke, den früheren Teamarzt der amerikanischen Turnerinnen, der über Jahrzehnte mehr als hundert Mädchen und junge Frauen sexuell missbraucht hat.
Ich sagte immer dasselbe: Dass ich keine Worte dafür habe. Dass es keine Worte gebe für das Elend, das Larry Nassar angerichtet hat. Dass ich erschüttert sei. Und dass ich mir nie in tausend Leben hätte vorstellen können, dass so etwas geschehen kann.

Seither hatte ich viel Zeit zum Nachdenken.

So traurig es ist: Heute glaube ich, dass das Kunstturnen als klassische Kindersportart genau die Struktur bietet, die so etwas möglich macht. Kunstturnen ist ein Milieu, in dem die Turnerin wenig zu sagen hat. Sie wird unterdrückt, hat Befehle auszuführen, und wenn sie aufmuckt, wird sie zum Schweigen gebracht.

Was Larry Nassar den Mädchen und jungen Frauen angetan hat, lässt sich mit nichts vergleichen. Aber auch ich und meine Kolleginnen im Nationalteam haben psychischen Missbrauch erlebt. Das war Mitte der 2000er-Jahre. Über Jahre behandelte uns der damalige Trainer wie Tiere. In seinen Augen waren wir Dreck, und weil wir zu jung waren, um zu verstehen, dass seine Meinung nicht zwingend die richtige sein musste, glaubten wir ihm. Niemand schützte uns, schon gar nicht der Verband. Erst als wir geschlossen gegen den Trainer aufbegehrten und die Öffentlichkeit davon erfuhr, sah der Verband sich gezwungen zu reagieren. Es war eine qualvolle Zeit. Ich glaube, dass damals etwas kaputt ging in mir, das bis heute nicht ganz geheilt ist.

Es muss alles getan werden, damit sich ein Horror, wie Larry Nassar ihn angerichtet hat, nicht wiederholt. Und es muss um jeden Preis verhindert werden, dass junge Kunstturnerinnen dasselbe erleben, was uns damals widerfahren ist. Es braucht Verbandsspitzen, die ihren Sportlerinnen glauben. Es braucht unabhängige Stellen, an die sich Sportlerinnen bei Problemen wenden können.
Aber ganz ehrlich: Ich weiss nicht, ob das genügt. Ich frage mich, ob Kindersportarten wie das Kunstturnen nicht immer prädestiniert sein werden für Missbrauch irgendwelcher Art. Ich bin da ziemlich ratlos, und ich bin auch ziemlich zerrissen – so sehr, dass es schmerzt: Ich liebe Kunstturnen, aber es kann auch ein unendlich schrecklicher Ort sein.

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Die Sportarena des Campus Sursee ist ein Paradies für Menschen wie mich

Seit ich im Sommer 2011 als Spitzensportlerin zurückgetreten bin, hatte ich dieses Gefühl nicht sehr oft: den Wunsch, noch einmal Kunstturnerin sein zu dürfen. Dann kam ein Wochenende im April, das einen Moment lang alles veränderte: Plötzlich träumte ich davon, noch einmal jung zu sein und am Anfang meiner Karriere zu stehen.

Ich war eingeladen worden, die nigelnagelneue Sportarena des Campus Sursee zu besichtigen. Mit jedem Raum, den ich betrat, wurde ich ein bisschen wehmütiger: Eine Infrastruktur wie diese hatte ich einfach noch nie gesehen, schon gar nicht in nächster Nähe von dem Ort, an dem ich aufgewachsen bin. Als ich noch Kunstturnerin war, fuhr ich jeden Montagmorgen nach Magglingen oberhalb Biel und kehrte meistens erst im Verlauf des Samstags für ein paar Stunden heim. Ich wollte damals nichts sosehr, wie eine gute Kunstturnerin zu werden, darum nahm ich den weiten Weg in Kauf. Doch in jenen Jahren dachte ich häufig daran, wie wunderbar es wäre, wenn es eine solche Anlage in meiner Umgebung gäbe.

Jetzt gibt es sie: Die soeben eröffnete Sportarena des Campus Sursee ist ein Paradies für Sportlerinnen und Sportler. Und auch für Menschen, die sich einfach ein bisschen bewegen wollen. Das Herz der Arena bildet die Schwimmhalle, die einzige in der Region mit einem überdachten 50-Meter-Becken, die einzige in der Schweiz mit einer fixen Tribüne für mehr als siebenhundert Zuschauerinnen und Zuschauer. Doch das ist lange nicht alles: Es hat eine Physiotherapie, einen Gymnastikraum, einen Spa-Bereich und einen riesigen Athletikbereich. Und nicht zuletzt der Ort, den ich aus meiner Turnkarriere so gut kenne: eine Dreifachsporthalle.

An dem Wochenende, an dem ich die Sportarena besuchte, fand im Schwimmbad ein internationales Meeting statt. Ich wurde herumgeführt von Mathias Hecht, einem ehemaligen Profitriathleten, der jetzt Leiter der Sportarena ist. Er erzählte mir, dass es den Campus Sursee, an dem die Sportarena angegliedert ist, bereits seit 1972 gibt, es ist das grösste Bildungs- und Seminarzentrum der Schweiz mit mehr als fünfhundert Hotelzimmern, fünf Restaurants und einer schier unbegrenzt grossen Zahl an Seminarräumen. Der Bau der Sportarena hat etwas mehr als sechzig Millionen Franken gekostet, doch das wirklich Spezielle ist, dass nur etwa ein Zehntel des Betrags mit öffentlichen Geldern finanziert wurde. Der grosse Rest ist private Investition.

Ich kann es nicht anders sagen: Ich war wahnsinnig beeindruckt. Und als Luzernerin auch ein bisschen stolz. Die Sportarena ist wunderschön, und sie bietet alles, was das Sportlerinnenherz begehrt. Ich werde auf jeden Fall zurückkehren. Nicht als Kunstturnerin – aber für viel anderes.

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Die Kombination macht’s aus

Ich weiss noch, wie ich weinte, wenn wir im Kunstturnen den Spagat trainierten. Ich weinte immer wieder, die anderen Mädchen weinten ebenfalls, und manchmal weinte ich auch, als ich schon viel älter war. Wir sassen minutenlang im Spagat, völlig regungslos, so wurde es von uns verlangt. Und wenn der Trainer fand, es müsse sein, setzte er sich auf uns drauf, um uns noch stärker zu dehnen.
Falls Sie sich fragen, warum ich mir das so viele Jahre lang gefallen liess: Weil uns eingetrichtert wurde, dass das nötig sei, um an die Spitze zu gelangen.

Sicher: Kunstturnen ist ein elender Kampf, nur in den seltensten Fällen erlebt man Momente der Leichtigkeit. Aber heute weiss ich, dass man uns zumindest diesen Teil des Kunstturntrainings hätte ersparen können, ohne dass wir an Leistungsfähigkeit eingebüsst hätten. Das lernte ich kürzlich in meiner Physiotherapieausbildung, die ich letzten Herbst im Anschluss an mein Studium in Sportwissenschaften begonnen habe.

Sich vor oder nach einem Training zu dehnen mit dem Ziel, sich aufzuwärmen oder zu entspannen, ist noch einmal ein anderes Thema (allerdings ebenfalls eines, in dem viel altes Trainingswissen längst überholt ist). Ich spreche von dem Dehnen, das man zum Zweck einer gesteigerten Beweglichkeit ausführt. Hier weiss man heute, dass es nichts bringt, sich bloss zu strecken. Selbst wenn man die Position allenfalls minimal zu verlängern vermag: Wenn man sie im Ernstfall nicht stabilisieren kann, steigt höchstens die Verletzungsgefahr, sonst genau nichts.

Der Trick besteht darin, dass man das Dehnen mit Krafttraining kombiniert. Man begibt sich nicht passiv in die erstrebenswerte Position, zum Beispiel den Spagat, sondern aktiv, zum Beispiel mit sogenannten Spagatsprüngen. Bei genügend Wiederholungen führt man so nicht nur eine Verlängerung der Muskeln herbei, sondern erreicht auch, dass die Muskeln die Kraft erlangen, die sie benötigen, um die gestreckte Position halten zu können. Dies gilt nicht nur für extreme Positionen wie den Spagat, sondern auch für Alltagspositionen. Ein Beispiel dafür wären verkürzte Hamstrings. Viele Ausdauersportler, vor allem Läufer, leiden oftmals unter Verkürzungen dieser Muskelgruppe. Anstelle von minutenlangem Dehnen, kann ich dies einfach und schnell in mein Training integrieren, indem ich tiefe Squats mache. So bringe ich die hinteren Kniebeuger auf Dehnung, baue gleichzeitig aber auch Kraft auf, damit ich diese Position auch stabilisieren kann. Dehnung, Kraft und Verletzungsprofilaxe auf einen Schlag. Nicht schlecht oder?

Hätte ich das nur früher gewusst! Ich hätte mir und meinen Turnkolleginnen einiges Leid erspart. Zwar glaube ich nicht, dass Spagatsprünge zwingend vergnüglicher sind als das statische Üben des Spagats – sicher aber wäre es dem Trainer schwerer gefallen, sich auf uns zu setzen, wenn wir die ganze Zeit in der Halle herumgehüpft wären. Und vor allem, und darum geht es ja, hätte es wirklich etwas gebracht.

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«Nachts kann man meistens nicht schlafen, weil die Gedanken so einen Lärm machen.»

In meinem letzten Blog-Beitrag habe ich Ihnen erzählt, warum Schlaf für die sportliche Leistung wichtig ist. Nun geht es um den umgekehrten Fall: Welchen Einfluss hat sportliche Betätigung auf den Schlaf?

Zu dieser zentralen Frage habe ich eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie. Nehmen wir zuerst die schlechte Nachricht: Wenn Sie einen guten Schlaf haben, können Sie ihn mit Sport höchstens marginal verbessern. Das wurde in zahlreichen Studien nachgewiesen. Aber was will man dann auch verbessern?

Und jetzt die gute Nachricht: Wenn Sie einen schlechten Schlaf haben, können Sie ihn mit Sport massgeblich verbessern. Auch das wurde in zahlreichen Studien nachgewiesen. Um nur eine davon zu erwähnen, eine Untersuchung von King, Oman, Brassington, Bliwise und Haskell aus dem Jahr 1997: Nach einer viermonatigen Intervention mit drei bis vier Sporteinheiten von 30 bis 40 Minuten pro Woche berichteten 43 ältere Schlafpatienten (50- bis 76-jährig) von signifikanten Verbesserungen in der allgemeinen subjektiven Schlafqualität, der Einschlaflatenz und der gesamten Schlafdauer. Besonders interessant: Aus einer anderen Untersuchung weiss man, dass die Verbesserungen auch drei Monate nach Beendigung der Intervention bestehen bleiben.

Ich zitiere wieder aus dem Artikel in der «Zeitschrift für Sportpsychologie», den ich in meinem letzten Blog-Beitrag erwähnt habe. Dort steht: «Allgemein betrachtet, könnte regelmässige moderate körperliche Aktivität eine gesunde, sichere, günstige und einfache Behandlungskomponente bzw. -alternative zur Verbesserung des Schlafs darstellen.»

Doch was bedeutet jetzt „regelmässig moderate körperliche Aktivität“ genau?

Moderate körperliche Bewegung heisst: Bewegung, bei welcher man sich als erwachsene Person, mindestens zweieinhalb Stunden pro Woche bewegt. Dies kann in Form von Alltagsaktivitäten oder Sport mit mindestens “mittlerer“ Intensität, also Aktivitäten, bei denen man etwas ausser Atem und leicht ins Schwitzen kommt, geschehen. Alternativ dazu werden 75 Minuten Sport mit hoher Intensität (Aktivitäten, die leichtes Schwitzen verursachen) oder Kombinationen von Bewegung mit verschiedenen Intensitäten vom Bundesamt für Sport empfohlen.

Hier ein paar Tipps von mir:

  • Ausdauer: Mindestens drei Einheiten pro Woche. Das Training sollte ein leichtes Schwitzen und einen beschleunigten Atem bewirken.
  • Krafttraining: Mindestens zwei Einheiten pro Woche.
  • Beweglichkeit: Regelmässige Gymnastik- oder Stretchingübungen.


Bild: Ariella Käslin

Ich kann das aus meiner persönlichen Erfahrung nur bestätigen: Wenn ich mich bewegt habe, mit Vorliebe draussen, schlafe ich einfach besser. Diese wohlige Erschöpfung, die ich nach dem Sport empfinde, verschafft mir eine ruhige und lange Nacht. Früher, als ich noch Spitzensportlerin war und ohnehin den ganzen Tag nichts anderes tat, als Sport zu treiben, war das vielleicht anders. Aber heute, da Sport zwar immer noch wichtig ist, aber in meinem Alltag eher die Funktion einer Abwechslung einnimmt, spüre ich das gut. Ich kann nicht genau sagen, warum das so ist. Möglich, dass ich besser schlafe, weil ich nach dem Sport müde bin. Aber ich glaube, es gibt noch einen zweiten Grund: Sport hilft mir abzuschalten. Wenn ich Sport treibe, hört das Denken im Kopf auf. Und wenn ich dann ins Bett liege, muss ich nicht zuerst noch tausend Gedanken wälzen, ehe ich loslassen kann. Mein Kopf hat bereits losgelassen.

Probieren Sie es auch und teilen Sie mir mit, was Sie für Erfahrungen gemacht haben. Das Hüsler Nest Team und ich freuen uns auf Ihre Kommentare.

Ihre Ariella

Quellen:

Erlacher D., Gebhart C., Ehrlenspiel F., Blischke K., & Schredl M.

Schlaf und Sport – Zeitschrift für Sportpsychologie, 19 (1), 4 – 15 Hogrefe Verlag, Göttingen 2012

Untersuchung von King, Oman, Brassington, Bliwise und Haskell aus dem Jahr 1997: King, A. C., Oman, R. F., Brassington, G. S., Bliwise, D. L., & Haskell, W. L. (1997). Moderate-intensity exercise and self-rated quality of sleep in older adults: a randomized controlled trial. Jama277(1), 32-37.

Bundesamt für Sport BASPO, (2017). Bewegungsempfehlungen. Zugriff am 15. September 2018 unterhttps://www.baspo.admin.ch/de/sportfoerderung/breitensport/gesundheit/bewegungsempfehlungen

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«Schlafen ist harte Arbeit für Teile des Gehirns»

Unser Körper braucht seine Zeit zum Regenerieren. Doch schlafen, ist nicht gleich schlafen. „Echter Schlaf“ bringt hier mehr, als einfach auf dem Sofa ein Päuschen einzulegen.

Während meiner Karriere habe ich mich leider zu wenig mit der Frage beschäftigt, wie wichtig Schlaf für die sportliche Leistung ist. Heute, da ich Sport und Psychologie studiere, weiss ich, dass selbst die Wissenschaft dem Aspekt noch immer zu wenig Beachtung schenkt. Es gibt kaum systematische Erhebungen zur Frage, wie sich schlechter Schlaf auf die Wettkampfleistung auswirkt, das habe ich in einem Artikel in der «Zeitschrift für Sportpsychologie» gelesen. Es gibt zwar eine Vielzahl anekdotischer Belege, aber es gäbe sicher noch viel zu untersuchen in diesem Zusammenhang.

Von den Dingen, die man weiss, finde ich zwei Aspekte besonders interessant. Erstens ist belegt, dass Schlaf eine stabilisierende Wirkung auf neu erworbene Fähigkeiten hat. In dem oben erwähnten Artikel steht: «Wer eine neue Bewegung erlernt und nach der Lernphase schläft, der beherrscht die Bewegung nach dem Schlaf nicht nur stabiler, sondern auch besser als jemand, der nach dem Lernen nicht geschlafen hat.» Und weiter: «Auch im schlafenden Gehirn werden weitere Lernprozesse initiiert.»

Natürlich gilt das weniger oder gar nicht für jene Teile des Trainings, die zum Ziel haben, aus dem Körper eine Maschine zu machen: Schnellkraft, Kraftausdauer, Ausdauer – all das wird kaum besser, bloss weil man schläft. Aber besser wird eben die Technik, wenn man nach einem intensiven Techniktraining zu genügend Schlaf kommt. Und mit genügend meine ich nicht ein zusätzliches Mittagsschläfchen, sondern eine ausgedehnte Nachtruhe. Denn die Studien, die es zu diesem Phänomen gibt, lassen vermuten, dass insbesondere die Quantität des sogenannten REM-Schlafs beim Neulernen motorischer Aufgaben bedeutsam ist. Und der morgendliche Schlaf enthält eben den grössten REM-Anteil, man sollte also nicht zu spät ins Bett gehen und dann mindestens acht Stunden schlafen (wobei die optimale Schlaflänge im Einzelfall natürlich variieren kann).

Auf der anderen Seite wollten die Wissenschaftler herausfinden, welche Auswirkungen schlechter Schlaf auf die Wettkampfleistung von Athleten hat. In einer Fragebogenstudie (Erlacher, Ehrlenspiel, Adegbesan & Galal El-Din, 2011) sollte geklärt werden, wie viele Leistungssportler schlechten Schlaf vor Wettkämpfen erleben. Mit einem selbst entwickelten Fragebogen wurden 632 deutsche Athleten befragt.

Menschen, die sich körperlich betätigen, sollten sich das zu Herzen nehmen, Spitzensportlerinnen und Spitzensportler sowieso. Ist es nicht eine schlicht wunderbare Vorstellung, dass man im Schlaf, dieser rundum schönen Sache, einfach weiterlernt? Und vergessen Sie dabei nicht, an die richtige Ausstattung zu denken. Denn ebenso wie ein Spitzensportler eine gute Trainingsausrüstung benötigt, benötigt man im Schlaf die perfekte Unterlage.

Vom zweiten Aspekt, den ich im Zusammenhang mit Sport und Schlaf erhellend finde, erzähle ich Ihnen in meinem nächsten Blogbeitrag.

Quelle:
Erlacher D., Gebhart C., Ehrlenspiel F., Blischke K., & Schredl M.
Schlaf und Sport – Zeitschrift für Sportpsychologie, 19 (1), 4 – 15 Hogrefe Verlag, Göttingen 2012

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Wenn Du nichts veränderst, wird sich auch nichts verändern!

«Wenn Du nichts veränderst, wird sich auch nichts verändern!»

In meinen schlimmsten Zeiten schlief ich noch fünf oder sechs Stunden pro Nacht. Es ist nicht so, dass ich zurückgetreten bin, weil ich nicht mehr gut schlief. Ich bin zurückgetreten wegen allem anderen.

Zitat Titel: George Lee „Sparky“ Anderson (1934 – 2010) war ein US-amerikanischer Baseballspieler und –manager und der erste Teammanager, der Mannschaften aus der National League und der American League zum Sieg in der World Series führte.

In meinen schlimmsten Zeiten schlief ich noch fünf oder sechs Stunden pro Nacht, nicht mehr, und es waren keine guten Stunden. Ich war immer gestresst, selbst im Bett, in meinem Kopf drehte und wühlte es, ich konnte ihn einfach nicht abschalten. Ich schlief nicht mehr wirklich tief, und manchmal erwachte ich mitten in der Nacht, und dann fielen mir tausend Dinge ein, die ich vergessen hatte oder die noch zu erledigen waren. So war’s in den letzten vier Jahren meiner Karriere als Kunstturnerin, von 2007 bis 2011, es begann im Jahr vor den Olympischen Spielen in Peking und endete erst, als ich zwar Europameisterin und Weltmeisterschaftszweite und Olympiafünfte geworden aber, aber keinen anderen Ausweg mehr wusste, als den Rücktritt zu geben.

Es ist nicht so, dass ich zurückgetreten bin, weil ich nicht mehr gut schlief. Ich bin zurückgetreten wegen allem anderen, es war mir zu viel geworden, das Training, die Aufmerksamkeit, die Erwartungen, ich kam damit einfach nicht mehr klar. Und darum schlief ich auch schlecht. Und wenig. Um allen Terminen gerecht zu werden, hatte ich mir zuerst alle Freizeit geraubt. Und als keine Freizeit mehr übrig war, die ich mir hätte rauben können, raubte ich mir halt noch den Schlaf. Dabei hätte ich nichts sosehr gebraucht wie das: guten und langen und tiefen Schlaf.

Ich weiss, dass man Schlaf weder vor- noch nachholen kann, aber nach meinem Rücktritt fühlte es sich jahrelang an, als müsste ich alles kompensieren, was ich zuvor an Schlaf verpasst hatte. Ich schlief zehn, elf Stunden pro Nacht, häufig machte ich auch den Tag durch ein Nickerchen, mein Kopf war am Ende, mein Körper war es auch. Der viele Schlaf half. Heute weiss ich, dass ich acht bis neun Stunden Schlaf pro Nacht brauche, wenn ich den Tag durch nicht müde werden will. Ich bin nicht gern müde. Ich glaube, ich habe sogar ein bisschen Angst davor, müde zu sein.

Ich kann nur im Bett wirklich gut schlafen, nicht im Zug, nicht auf dem Sofa, nicht im Sommer auf einer Wiese. Ich habe ein 180er-Bett mit zwei 90er-Matratzen von Hüsler Nest, es steht mitten im Schlafzimmer, die Kopfseite direkt unter dem grossen Fenster. Meine Hündin Cloé, eine Chihuahua, schläft immer neben mir, auf einer kleinen Decke, auch wenn mein Freund da ist. Ich schlafe seit Jahren mit Ohropax und höre nichts, keinen Mucks. Ausser wenn Cloé bellt. Wenn ich Cloé nicht hätte, könnte um mich herum die Welt untergehen, ohne dass ich es merken würde. Sie ist mein Warnsystem. Wenn irgendetwas nicht in Ordnung ist, meldet sie sich, und ich wache auf. Zu wissen, dass sie mich wecken würde, wenn was wäre, gibt mir Sicherheit.

„Sparky“ hatte Recht, wenn Du nichts veränderst, wird sich nichts verändern. Darum, seien Sie mutig.

Ihre Ariella

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Hürdenlauf beim Einschlafen

«Die meisten wissen gar nicht, was sie für ein Tempo haben können, wenn sie sich nur den Schlaf aus den Augen rieben.»

In meinem letzten Blog-Beitrag habe ich Ihnen erzählt, welchen Einfluss sportliche Betätigung auf den Schlaf hat. Heute erzähle ich Ihnen aus meiner eigenen Erfahrung, wie Sie mit Schlaf Ihre Leistungsfähigkeit erhöhen können.

Hürdenlauf beim Einschlafen

Die letzte Nacht ist die schlimmste, früher wie heute. In der letzten Nacht vor einem wichtigen Tag mache ich kein Auge zu. Die schlechte Nachricht: Ich habe keine Ahnung, was sich dagegen tun liesse. Ausprobiert habe ich alles, genützt hat nichts.

Die gute Nachricht: Es ist egal.

Lassen Sie mich von der Zeit erzählen, als ich noch Kunstturnerin war. Ich gewann EM-Gold und WM-Silber, aber der Erfolg, der mir bis heute am meisten bedeutet, war der fünfte Platz an den Olympischen Spielen 2008 in Peking. Jahrelang hatte ich mich darauf vorbereitet, und als die Wettkämpfe kurz bevorstanden, wusste ich: Ich bin bereit.

Dann kam die letzte Nacht. Die letzte Nacht vor dem ersten Einsatz. Ich machte kein Auge zu, war so nervös, als stünde ich schon auf der Matte. Ich wälzte mich hin und her, fühlte mich mies und befürchtete, dass ich gerade alles zerstöre, was ich mir aufgebaut hatte. Etwa um drei Uhr morgens kam meine Zimmerpartnerin, eine Badmintonspielerin, die ihre Wettkämpfe bereits vorüber hatte, hineingestürmt, ich murmelte noch: «Psst, ich versuche zu schlafen!» Aber sie war so aufgedreht vom Ausgang, dass auch ich wieder hellwach war. Ich schlurfte ins Badezimmer und wühlte mich durch die kleine Apotheke, die wir von unserem Olympiaarzt bekommen hatten. Ich suchte eine Schlaftablette, erwischte aber ein Medikament, das die Muskeln lockert.

Na, super.

Tags darauf turnte ich trotzdem den besten Wettkampf meines Lebens.

Wie sich das erklären lässt? Ganz einfach: Es ist egal, ob ich in der Nacht vor einem grossen Tag zur Ruhe finde. Wichtig ist, dass ich in der Nacht davor zu viel Schlaf komme.

Die vorletzte Nacht vor dem grossen Tag – auf die kommt es an. Glauben Sie mir das ruhig, ich habe es für Sie unzählige Male getestet und halte es bis heute so: Am zweitletzten Abend vor einer Uniprüfung gehe ich so früh wie möglich schlafen, den letzten Abend aber verbringe ich bis spät mit Lernen. Funktioniert immer.

Viele Sportkolleginnen und Sportkollegen haben mir dasselbe berichtet. Daniela Ryf, die vierfache Siegerin des Ironman-Triathlons auf Hawaii, gönnt sich am zweitletzten Abend vor dem Rennen ein Glas Wein und ein schönes Stück Fleisch, weil sie weiss, dass sie dann richtig gut schläft. Wie sie die letzte Nacht vor dem Rennen verbringt, ist dann beinahe egal.

Versuchen Sie’s mal. Ich bin ziemlich sicher, dass es auch bei Ihnen wirkt. Teilen Sie mir mit, was Sie für Erfahrungen gemacht haben. Das Hüsler Nest Team und ich freuen uns auf Ihre Kommentare.

Ihre Ariella

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Das Kreditkartenkonto-Prinzip

«Du musst an dich glauben!» und «handle your mind!»: Das waren die Tipps, von denen ich Ihnen in meinen letzten beiden Blog-Einträgen erzählt habe. Die dritte und letzte Regel, die ich während meiner Karriere lernte und bis heute beherzige, klingt beim ersten Hinhören nicht weniger banal: «Wer seinen Körper belastet, muss ihm auch Erholung gönnen.»

Die Sache ist: Ich habe diesen Tipp jahrelang nicht beherzigt. Und büsste bitter dafür, ich hatte ein Burn-out und brauchte ewig, bis ich wieder einigermassen bei Kräften war. Selbst jetzt, sieben Jahre nach dem Rücktritt, glaube ich nicht, dass ich ganz die Alte bin.

Geht es nicht vielen von Ihnen ähnlich? Man arbeitet und rackert und trainiert sich einen ab, und irgendwann kommt der Hammer. Das ist nicht gut. Das Ziel müsste sein, gar nicht erst in den Hammer zu laufen, sondern das Tempo rechtzeitig zu reduzieren. Wir glauben, wir können ins Minus gehen und uns dann irgendwann in ferner Zukunft etwas Rast gönnen. Aber das stimmt nicht. Damit mir das, was mir im Sport passiert ist, nie mehr wiederfährt, stelle ich mir vor, ich funktioniere wie ein Kreditkartenkonto, das man nicht überziehen kann. Ist kein Geld mehr da, muss ich das Konto aufladen, ehe ich wieder etwas ausgeben kann. Eine Kreditkarte, die es einem erlaubt, mehr Geld auszugeben, als man hat, ist eine schlechte Kreditkarte. So sollten wir auch unseren Kräften gegenüber empfinden: Über Null ist gut, unter Null ist schlecht.

Zumal ein Tag, an dem man sich eine Pause gönnt, kein erfolgloser Tag sein muss – selbst wenn man, wie ich, Erfolg daran misst, wie viele Ziele man in einer gewissen Zeit erreicht hat. Mein Trick? Wenn ich morgens aufstehe und merke, dass ich mich heute schonen muss, setze ich mir einfach ein niedriges Ziel. Zum Beispiel: nicht die Uni zu schwänzen. Stehe ich aber auf und merke, dass ich voller Tatendrang und Energie bin, nehme ich mir vor, drei Arbeiten zu schreiben und am Abend noch zwanzig Kilometer zu rennen. Wer sich clever Ziele setzt, kann sich beim Zubettgehen immer sagen: yes, Ziel erreicht.

Und zufrieden einschlafen.

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Handle your mind!

In meinem letzten Blog-Beitrag habe ich die Frage gestellt, ob der Sport, wie es so schön heisst, wirklich eine Schule fürs Leben sei. Ich bin unsicher, ob ich die Frage bereits abschliessend beantworten kann, aber fest steht: Ein paar Dinge habe ich tatsächlich aus meiner Karriere in den Alltag mitgenommen. Darunter drei Tipps, die ich mit Ihnen teilen möchte.

Diesmal: Tipp Nummer 2.

Eine der wichtigsten Grundregeln, um als Wettkämpferin erfolgreich zu sein, lässt sich folgendermassen zusammenfassen: «Handle your mind!» Damit ist gemeint, dass man mit den Gedanken im Hier und Jetzt sein muss.

Stellen Sie sich vor, Sie stehen, wie ich früher, auf dem Balken – und denken: Ui, jetzt kommen noch fünf schwierige Momente, in denen ich runterfallen könnte. Sie ahnen es: Bestimmt fallen Sie dann runter. Nicht besser ist es, wenn sie denken: Ui, bei dieser Übung hat es mich letztes Jahr böse zusammengefaltet.

Der einzige Weg, sich weder von Zukünftigem noch Vergangenem aus dem Konzept bringen zu lassen, besteht darin, den Moment festzuhalten, die Gedanken an der Gegenwart festzuzurren. Ich machte das, indem ich jede meiner Bewegungen kommentierte, wie eine Fernsehkommentatorin, ich sagte zu mir selbst: «Schritt, Arme hoch, Bein nach vorne, abspringen.»

Ganz banal. Aber es half – und hilft mir noch heute. Wenn ich vor vielen Leuten einen Vortrag halte, kann ich natürlich nicht kommentieren, was ich gerade mache, aber das Prinzip ist dasselbe. Es geht um Aufmerksamkeit dem Augenblick gegenüber und dass man an nichts anderes denkt als an das, was gerade ist.

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Ein gesundes Selbstwertgefühl

Der Sport, heisst es so schön, sei eine Schule fürs Leben. Stimmt das wirklich?

Ich erinnere mich gut an die Zeit nach meinem Rücktritt: Im neuen Leben, dem normalen, fühlte ich mich komplett verloren. Vorher war alles vorgegeben gewesen, jetzt hatte ich alle Freiheiten – aber keinen Schimmer, was ich mit mir anfangen sollte. Es vergingen Jahre, bis ich damit umgehen konnte.

Doch das soll nicht heissen, dass ich im Sport nichts für den Alltag gelernt hätte. Im Gegenteil. In diesem und den nächsten zwei Blogs möchte ich Ihnen davon erzählen. Vielleicht nehmen Sie etwas davon mit.

Tipp Nummer 1.

Wenig hört eine Sportlerin so oft wie den Satz: «Du musst bloss an dich glauben!» Klingt bescheuert, wenn wir ehrlich sind. Das Dumme: Der Satz ist wahr. So auf die Schnelle kann ich Ihnen nicht erklären, wie man zu einem guten Selbstwertgefühl findet, je nachdem, wie man drauf ist, ist dafür jahrelange Arbeit nötig. Aber ich kann Ihnen sagen, welches Mass an Selbstwertgefühl ideal ist. Denn ob Sie es glauben oder nicht: Mit dem Selbstwertgefühl kann man es auch übertreiben. Was man aus Studien weiss: Man ist am erfolgreichsten mit einem leicht überhöhten Selbstwertgefühl. Nicht zu wenig also und auch nicht zu viel, wie bei den meisten Dingen im Leben.

Mein Vorbild in dieser Hinsicht ist meine Hündin Clowie. Sie wiegt nicht einmal zwei Kilo, und ihre Beine sind kaum zehn Zentimeter lang – und doch rennt sie mit mir überallhin. Wir waren zusammen schon auf dem Grossen Mythen, auf dem Pilatus, auf dem Stanserhorn, auf dem Rigi. Ich glaube, Clowie schafft das, weil sie nicht checkt, wie klein sie ist. Wenn sie wüsste, dass sie fast so klein wie eine Ameise ist, würde sie denken: Oh, nein, das schaffe ich nie, meine Beine sind viel zu kurz!

Nun gut, vielleicht hinkt der Vergleich ein bisschen, aber mir hilft er. Wichtig ist: Sich etwas zuzutrauen, sei es aus Überzeugung, sei es wie Clowie aus Ignoranz – das ist für den Erfolg unerlässlich. Aber sich zu viel zuzutrauen – das bringt dann auch nichts. Oder können Sie sich vorstellen, wie Clowie auf den Mount Everest läuft?

In meinem nächsten Blog: Tipp Nummer 2.

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Mein Mittelweg

Am schlimmsten war immer der Montag. Jeden Montag vor dem ersten Training der Woche mussten wir zur Gewichtskontrolle antraben und vor den Augen des Trainers auf die Waage stehen. Und wehe, wir hatten übers Wochenende zugenommen! Wenn doch, schickte der Trainer uns in Schwitzhosen und Schwitzjacke nach draussen, und wir mussten so lange durch den Wald rennen, bis wir wieder unser Normalgewicht erreicht hatten.

Wobei – was heisst hier Normalgewicht? Normal war gar nichts, als ich noch Kunstturnerin war, schon gar nicht mein Verhältnis zum Essen. Klar muss man sich als Spitzensportlerin mit der Frage beschäftigen, was einem guttut und was nicht. Und klar muss man aufs Gewicht schauen. Aber das, wozu wir genötigt wurden – das war nur noch verrückt. Wir waren so jung, unser Verhältnis zu unseren Körpern war völlig gestört. Das ganze Wochenende über war ich voller Sorge, ich könnte bei der Gewichtskontrolle am Montag versagen. Eigentlich drehten sich meine Gedanken überhaupt die ganze Woche über bloss um eines: essen. Also eigentlich: nicht essen. Eine Pizza war nicht etwas, das ich mir ausnahmsweise erlauben und dann aber auch geniessen konnte. Eine Pizza war eine runde, giftige Kalorienbombe. Unser Trainer durchsuchte regelmässig unsere Schränke nach Süssigkeiten, und beim Mittagessen, das wir immer zusammen einnahmen, durften wir nicht einmal ein Stück Brot zu uns nehmen. Grad extra setzte der Trainer sich jeweils vis-à-vis von uns an den Tisch und stopfte seelenruhig und zufrieden Brot in sich hinein.

Als ich meine Karriere beendete, war ich in vielerlei Hinsicht mit den Möglichkeiten überfordert, die einem das Leben abseits des Spitzensports bietet. Eine war: der wahnsinnige Reichtum an Nahrungsmitteln. Wenn ich früher einkaufen ging, ignorierte ich das Regal mit den Süssigkeiten einfach. So musste ich mir nie sagen: Nein, heute gibt’s keine Schoggi. Aber jetzt, da ich all das ja essen durfte – wie sollte ich jetzt damit umgehen?

Zuerst nahm ich natürlich zu. Es war, wie wenn man ein Gummiseil spannt – und dann loslässt. Mein Körper hatte sich über die Jahre an so wenig Essen gewöhnt, dass er damit haushalten gelernt hatte. Jetzt bekam er plötzlich viel mehr. Und musste die Information, dass er immer wieder genug Nachschub kriegt, zuerst im wahrsten Sinn verdauen. Dass das funktioniert, hat mir eine Ernährungspsychologin einmal erklärt. Man machte Untersuchungen bei Kriegsveteranen, die durch eine Hungersnot gegangen waren: Als sie wieder normal essen konnten, legten sie zuerst Gewicht zu, aber nach einem oder zwei Jahren hatte sich der Körper wieder angepasst.

Kurz: Ich hatte meinem Körper viele Jahre lang zu wenig zu essen gegeben. Ich hatte nicht auf ihn gehört. Jetzt musste ich ihm Zeit geben. Und mir auch. Ich musste einen Mittelweg finden.

Denn mit dem Essen ist es wie mit dem Training: Zu viel ist nicht gut, zu wenig aber auch nicht. Das habe ich in meinem letzten Blog-Eintrag schon ausgeführt. Heute achte ich darauf, dass ich möglichst wenig Fleisch (nicht weil es mir nicht guttut, sondern aus moralischer Überzeugung) und möglichst nichts Verarbeitetes esse. Aber sonst geht alles. Einfach im Mass. Wir leben in einer Gesellschaft des Überdrusses, und es ist sicher nicht leicht, die Signale des Körpers richtig zu deuten. Aber wenn ich in meiner Karriere als Spitzensportlerin eines gelernt habe, dann das: Am schlimmsten ist es, wenn man sich gar nichts gönnt. Ein feines Essen kann ebenso wichtig sein wie ein gutes Training.

Wir leben nur einmal, und wir alle sterben irgendwann.

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Zwischen «sensation seeker» und Achtsamkeit

Ich vermute, dass ich Ihnen keine Neuigkeit verrate, wenn ich sage, dass Profisport nicht wahnsinnig gesund ist. Trotzdem geht es in meinem ersten Blog-Beitrag genau darum, denn ich möchte Ihnen einen Ratschlag auf den Weg geben.

Wie Sie vielleicht wissen, blicke ich auf beinahe zwanzig Jahre Spitzensport zurück. Als ich sechs Jahre alt war, stand ich bereits jeden Tag in der Turnhalle, und als ich 2011 im Alter von 24 Jahren aufhörte, tat ich das nicht freiwillig, sondern weil mein Körper und mein Geist mir auf alle erdenklichen Arten signalisiert hatten: Mach! Mal! Pause!

Ich hatte mich so lange gequält, meinen Körper so lange geschunden, dass ich geradewegs in ein Burn-out geschlittert war. Es vergingen Jahre, bis ich mich davon erholt hatte.

Es gab in meiner Karriere nie einen Moment, in dem ich nicht topfit war. Aber es gab Momente, in denen ich noch fitter als topfit sein musste. Vor Europameisterschaften, Weltmeisterschaften, Olympischen Spielen schränkte ich meinen Lebensstil noch stärker ein, ich trainierte noch mehr, ass noch weniger, achtete noch besser darauf, dass ich genügend Schlaf bekam (vor allem Letzteres gelang mir leider längst nicht immer). Ich trug nie viele Kilos mit mir herum, aber für die grossen Wettkämpfe schwitzte und hungerte ich mir jedes Mal fünf Kilo weg. Sie können sich vorstellen, was das für jemanden wie mich bedeutet: Ich hatte schon im Normalzustand nie einen höheren Körperfettanteil als acht Prozent. Es war ein ständiges Herumbasteln, ein Schnippseln am Körper. Ich liebte es, weil ich meine Grenzen spürte. Leider merkte ich zu spät, dass ich die Grenzen zu häufig überschritt.

Wenn ich heute auf meine Zeit als Spitzensportlerin zurückschaue, fällt mir der Vergleich mit der Erde ein: Die Spitzensportlerin, die ich war, betrieb Raubbau an ihrem Körper, wie wir Menschen Raubbau an den Ressourcen der Erde betreiben. Irgendwann, das wissen wir alle, werden wir der Erde zu viel weggenommen haben. Und dann wird irgendetwas kollabieren.

Was ich Ihnen zu sagen versuche: Es ist gut, Sport zu treiben (auch damit offenbare ich Ihnen vermutlich keine Neuigkeit). Und wer darin Erfüllung findet, soll auch an seine Grenzen und dann und wann darüber hinausgehen. Ich tue das ja auch immer noch, ich mache Langlauf, nehme an Ironman-Triathlons teil, ich rudere, schwimme, fahre Velo, manchmal übertreibe ich es. Menschen wie mich nennt man sensation seeker, Menschen also, die nach immer neuen Reizen lechzen. Ich bin sicher, einige von Ihnen sind das auch.

Aber – und das ist wichtig: Achten Sie darauf, dass Sie Ihrem Körper alles zurückgeben, was Sie ihm nehmen. Wirklich alles. Trinken Sie mal ein Glas Wein, schlafen Sie mal aus, schlagen Sie mal über die Stränge. Und lassen Sie um Himmels Willen auch mal ein Training aus, wenn Ihnen nicht danach ist. Wir Menschen brauchen das ebensosehr wie die Askese. Egal, wie ehrgeizig wir sind – wir sollten uns nicht zusehr von dem entfernen, was uns neben vielem anderen ausmacht: Die Fähigkeit, uns gegenüber nachsichtig zu sein.

Ich kann Ihnen nicht sagen, wo Ihre Grenzen sind, das müssen Sie selbst wissen. Aber ich kann Ihnen Folgendes sagen: Ihr Körper und Ihr Geist teilen es Ihnen schon mit, wenn es genug ist. Ausser Sie haben gelernt, die Signale zu ignorieren. Wie ich damals. Dann wird es gefährlich.