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Zwischen «sensation seeker» und Achtsamkeit

Ich vermute, dass ich Ihnen keine Neuigkeit verrate, wenn ich sage, dass Profisport nicht wahnsinnig gesund ist. Trotzdem geht es in meinem ersten Blog-Beitrag genau darum, denn ich möchte Ihnen einen Ratschlag auf den Weg geben.

Wie Sie vielleicht wissen, blicke ich auf beinahe zwanzig Jahre Spitzensport zurück. Als ich sechs Jahre alt war, stand ich bereits jeden Tag in der Turnhalle, und als ich 2011 im Alter von 24 Jahren aufhörte, tat ich das nicht freiwillig, sondern weil mein Körper und mein Geist mir auf alle erdenklichen Arten signalisiert hatten: Mach! Mal! Pause!

Ich hatte mich so lange gequält, meinen Körper so lange geschunden, dass ich geradewegs in ein Burn-out geschlittert war. Es vergingen Jahre, bis ich mich davon erholt hatte.

Es gab in meiner Karriere nie einen Moment, in dem ich nicht topfit war. Aber es gab Momente, in denen ich noch fitter als topfit sein musste. Vor Europameisterschaften, Weltmeisterschaften, Olympischen Spielen schränkte ich meinen Lebensstil noch stärker ein, ich trainierte noch mehr, ass noch weniger, achtete noch besser darauf, dass ich genügend Schlaf bekam (vor allem Letzteres gelang mir leider längst nicht immer). Ich trug nie viele Kilos mit mir herum, aber für die grossen Wettkämpfe schwitzte und hungerte ich mir jedes Mal fünf Kilo weg. Sie können sich vorstellen, was das für jemanden wie mich bedeutet: Ich hatte schon im Normalzustand nie einen höheren Körperfettanteil als acht Prozent. Es war ein ständiges Herumbasteln, ein Schnippseln am Körper. Ich liebte es, weil ich meine Grenzen spürte. Leider merkte ich zu spät, dass ich die Grenzen zu häufig überschritt.

Wenn ich heute auf meine Zeit als Spitzensportlerin zurückschaue, fällt mir der Vergleich mit der Erde ein: Die Spitzensportlerin, die ich war, betrieb Raubbau an ihrem Körper, wie wir Menschen Raubbau an den Ressourcen der Erde betreiben. Irgendwann, das wissen wir alle, werden wir der Erde zu viel weggenommen haben. Und dann wird irgendetwas kollabieren.

Was ich Ihnen zu sagen versuche: Es ist gut, Sport zu treiben (auch damit offenbare ich Ihnen vermutlich keine Neuigkeit). Und wer darin Erfüllung findet, soll auch an seine Grenzen und dann und wann darüber hinausgehen. Ich tue das ja auch immer noch, ich mache Langlauf, nehme an Ironman-Triathlons teil, ich rudere, schwimme, fahre Velo, manchmal übertreibe ich es. Menschen wie mich nennt man sensation seeker, Menschen also, die nach immer neuen Reizen lechzen. Ich bin sicher, einige von Ihnen sind das auch.

Aber – und das ist wichtig: Achten Sie darauf, dass Sie Ihrem Körper alles zurückgeben, was Sie ihm nehmen. Wirklich alles. Trinken Sie mal ein Glas Wein, schlafen Sie mal aus, schlagen Sie mal über die Stränge. Und lassen Sie um Himmels Willen auch mal ein Training aus, wenn Ihnen nicht danach ist. Wir Menschen brauchen das ebensosehr wie die Askese. Egal, wie ehrgeizig wir sind – wir sollten uns nicht zusehr von dem entfernen, was uns neben vielem anderen ausmacht: Die Fähigkeit, uns gegenüber nachsichtig zu sein.

Ich kann Ihnen nicht sagen, wo Ihre Grenzen sind, das müssen Sie selbst wissen. Aber ich kann Ihnen Folgendes sagen: Ihr Körper und Ihr Geist teilen es Ihnen schon mit, wenn es genug ist. Ausser Sie haben gelernt, die Signale zu ignorieren. Wie ich damals. Dann wird es gefährlich.